Pfarrer Bergmann rief unter Gefährdung seines Lebens zu Lebensmittelspenden auf

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Nammering gehörte 1945 zur Pfarrei Aicha vorm Wald. Dort war Pfarrer Johann Bergmann im Amt.

Obwohl es ihm die Parteileitung streng verboten hatte, hat er in der Kirche für die KZ-Häftlinge in Nammering zu Lebens- mittelspenden aufgerufen. Er hatte damit sein Leben riskiert!

Er schrieb: ”Ich erklärte, ich verkünde morgen die Sammlung und dann möge man mich verhaften. ... In gleicher Weise, wie er mich anhörte, hätte der SS-Oberscharführer mich nach damals geltenden Anordnungen auch erschießen können.”

Viele Menschenleben hatte er damit gerettet, denn das akute Hungersterben wurde durch die Nahrungsmittelspenden in Nammering gemildert.

 

Pfarrer Johann Bergmann war von 1931 bis 31. Mai 1945 Pfarrer von Aicha vorm Wald; danach bis zu seinem Tod am 3.Dez. 1958 Stadtpfarrer und Dekan von Simbach am Inn.

Am 12. April 1956 bekam er für seinen mutigen Einsatz deswegen das Bundesvedienstkreuz der 1. Klasse.

 

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1956 Bundesverdiens5tkreuz Dekan Bergmann mit seinen Geschwistern in Simbach
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1956 Bundesverdienstkreuz im Rathaus Simbach Dekan Bergmann

Im Jahr 1956 bekam Dekan Johann Bergmann in Simbach am Inn den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, umgangssprachlich auch Bundesverdienstkreuz genannt. Er bekam sie für die einmalige christliche und mutige Tat, die vielen KZ-Häftlingen vermutlich das Weiterleben ermöglichte.

Bericht des Pfarrers Johann Bergmann am 12. Dezember 1945

"an das Oberkommando der Amerikanischen Besatzungsarmee in Deutschland

 

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"Als Vertreter des Römisch-kath.-Pfarramtes Aicha v. W. erlaube ich mir, an das Oberkommando der Amerikanischen Besatzungsarmee folgenden Bericht über die Vorgänge  anlässlich des Aufenthaltes eines Transportzuges aus dem Konzentrationslager Buchenwald in Nammering zu richten:

 

Im Laufe des 19. 4., Donnerstag, verbreiteten sich Gerüchte, dass in Nammering, Bahnstation, gehörig zu meiner Seelsorgsgemeinde Aicha v. W., eine Reihe von dort eingetroffenen Häftlingen von SS-Männern erschossen worden sei. Die Angabe der Zahl schwankte zwischen 30 und 60. Ich selber hatte in der Nacht vorher gegen 1.30 aus der Gegend Nammering Schüsse aus einer Maschinenpistole gehört. Um mich zu überzeugen, ob es sich um bloße Gerüchte oder Wahrheit handle, fühlte ich mich verpflichtet, nach dem 3 km entfernten Nammering zu gehen. Dort standen tatsächlich eine Reihe von Waggons - ihre Zahl wurde mir mit 45 angegeben - einige offen, die meisten bedeckt, mit Gefangenen gefüllt.

 

Das Bahnhofspersonal berichtete mir auch, dass mehrere dieser Wägen mit Toten angefüllt wären, die in einem nahen, aufgelassenen Steinbruch verbrannt würden. Ihre Zahl wurde, zunächst unbestimmt, auf etwa 300 angegeben. Eben war ein Wagen entleert worden und ich selber sah, wie von Häftlingen gerade ein Waggon mit Toten in die Nähe der Strasse Aicha v. Wald - Fürstenstein geschoben wurde. Durch die halb offene Türe sah man die Leichen hoch aufgeschichtet im Wagen liegen. Die Gefangenen waren zum größten Teile nur notdürftig gekleidet, manche zerrissen, dass man große Teile des nackten Körpers wahrnehmen konnte. Ihr Aussehen war das schwer leidender, unterernährter Menschen, ihre Haltung schwankend, kraftlos, wie das von Leuten, die lange Zeit schwersten Hunger gelitten hatten, die Augen hohl, die Gesichter eingefallen und blass wie von Toten.

 

Die Gefangenen mussten die Toten aus den Wägen ziehen und auf mit Pferden oder Ochsen bespannten Leiterwagen verladen, welche von Bauern der Umgebung zur Verfügung gestellt werden mussten. Vom Bahnhof wurden dann die Toten zu der etwa l km entfernten Verbrennungsstätte gebracht. Bei diesem Anblick überlief mich Grausen, Trotz und Zorn, sodass ich beschloss, ungeachtet des Protestes der SS-Männer, auch auf die Gefahr hin, von denselben tätlich und gewaltsam gehindert zu werden, mich von allem ganz zu überzeugen. So ging ich auch zur Verbrennungsstätte. Dieselbe bestand aus Eisenbahnschienen, die man  rostartig übereinander gelegt, auf größeren Steinen geschichtet hatte; unter den Schienen wurde das Feuer unterhalten, auf den Schienen lagen die Toten, 10 bis 20, daneben  war noch ein Haufen Toter, wahllos übereinander geworfen, etwa l 1/2 m hoch, 3 bis 4 m  im Durchmesser, schätzungsweise an die 100, zum Verbrennen bereit.

 

Ich begab mich noch am selben Abend zum Bürgermeister der Gemeinde Aicha, um mit demselben die Abstellung dieser grausigen Zustände zu erörtern. Wir vereinbarten, dass  wir am nächsten Morgen, am 21. 4., nach Passau fahren wollten, um mit den dortigen  Behörden - Landrat und Eisenbahn - über die Beendigung der skandalösen Zustände zu verhandeln. Vom Landrat wurden wir als nicht zuständig an die Partei - Kreisleiter Moosbauer als „Reichsverteidigungskommissar" - verwiesen; dieser sagte einen Waggon mit Lebensmitteln zu, der in Passau am Bahnhof stünde, der aber nicht nach Nammering  verfrachtet werden könnte.

 

Wenn der Transport der Gefangenen auf dem Wege nach  Dachau, wohin sie bestimmt wären, über Passau käme, würde der Lebensmittelwagen in  Passau angehängt. Die Bahn sagte zu, dass der Zug in längstens zwei Tagen abgeführt werden könnte. Außerdem beantragten wir die Unterbringung in einem Lager, wo sie gesundheitlich besser untergebracht wären als in den ganz unhygienischen Waggons. Ich  schlug zu diesem Zwecke das Arbeitsdienstlager in Tittling oder eine der beinahe entleerten Kasernen in Passau vor. Ein Teil der Häftlinge war nämlich bei dem kalten und nassen, stürmischen Wetter jener Tage nur notdürftigst gekleidet in offenen Waggons untergebracht.

 

Da die bedauernswerten Menschen aber bis dahin zu essen brauchten, verpflichtete ich mich, auf dem Wege über die katholische Caritas Lebensmittel zu verschaffen. Der kürzeste Weg dazu war eine Sammlung in der Kirche zu verkünden, und meine Gemeinde, von der ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen könne, aufzufordern, schnellstens rasch verwertbare Lebensmittel an den Bahnhof nach Nammering zu bringen. Ich wusste, dass diese Sammlung nach damaligen Vorschriften und Gesetzen eine strafbare Handlung sei, aber für mich kam nur noch die eine Überlegung in Frage, dass, soweit es auf uns ankäme; die Gefangenen nicht verhungern sollten.

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Außerdem erklärte ich dem verantwortlichen Führer des Transportes, einem SS-Oberscharführer, er dürfe unter keinen Umständen mehr Erschießungen vornehmen; wenn er solche Morde schon aus reiner Menschlichkeit nicht meiden wolle, dann möge er bedenken, dass die Amerikaner in der nächsten Zeit zu erwarten wären und wehe ihm, wenn er solche Verbrechen auf dem Gewissen hätte. Es sind von diesem Samstagvormittag an bis zur Abfahrt des letzten Teiles der Gefangenen Erschießungen nicht mehr vorgekommen.

 

Die Gefangenen, die seit dem 7. 4. nur 2 mal etwas zu essen bekommen hatten, - der auf 2 Tage berechnete Transport von Buchenwald nach Dachau hatte nur für 2 Tage Lebens-mittel und Verpflegung mitbekommen - erhielten durch die tatkräftige Hilfe meiner Gemeindemitglieder wieder genügend zu essen. Bis Sonntag Mittag waren an die 160 Zentner Kartoffel, mehrere Hundert Pfund Brot, warmer Kaffee, andere nahrhafte Suppen gebracht worden. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, dass die Anzahl der mit diesem Zug von Buchenwald Verschleppten 4500 Mann betragen hatte, von denen am Sonntag, 22. 4., nachmittags noch 3100 am Leben waren. Ein paar Hundert Leichen waren schon 14 Tage im Zuge mitgeführt worden. Der Zustand der Wägen war, wie man bei nur flüchtiger Einsichtnahme leicht beobachten konnte, schmutzig und unsauber.

 

Man konnte auch feststellen, dass viele der Toten verhungert waren, aber auch, dass, nach den reichlich in den Wägen und auf dem Bahngeleise vorhandenen Blutspuren, manche durch Gewalttätigkeiten hatten ihr Leben lassen müssen. - Beim Vorübergehen hörte man oft, unauffällig, die Bitte: Brot, bitte Brot! Man merkte, dass die Gefangenen sich fürchten mussten, um Brot zu bitten, weil sie im Betretungsfalle von den SS-Aufsehern misshandelt wurden.

 

Am Sonntag, den 22. 4., überzeugte ich mich persönlich, dass die Gefangenen auch in den Genuss der gespendeten Lebensmittel kamen. Als dem Spender der Lebensmittel wurde mir erlaubt, unter die Gefangenen zu gehen, die voll des Dankes waren, dass sie nun wieder einmal genügend zu essen bekamen, und zwar warmes, gekochtes Essen. Am Dienstag, den 24. 4., wollte ich nochmals sammeln lassen, aber am Dienstag Abend ging die letzte Abteilung, 1100 Mann, nach Passau ab, nachdem am Montag, den 23. 4., schon 2000 abtransportiert worden waren. Diesen Bericht erlaube ich mir zur Ehrenrettung meiner Pfarrgemeinde an das amerikanische Oberkommando einzureichen.

 

Ergänzend sei noch bemerkt:

 

Die Behandlung der Häftlinge durch die SS-Aufseher war eine denkbar rohe. Wenn sich die Häftlinge bei flüchtigem Aufenthalt im Freien um ein Büscherl Gras bückten, um ihren Hunger auf diese Weise etwas zu stillen, wurden sie in der rohesten Weise geschlagen, unbekümmert darum, ob man ihnen dabei Glieder abschlug oder sie sonst verletzte. Volkssturmmännern, die in der letzten Nacht zur Verstärkung der Aufsicht aufgefordert worden waren, wurde berichtet, dass auch in den Waggons die todesmatten Häftlinge, teilweise sterbend, noch misshandelt wurden. Mit einem Nammeringer Kriegsversehrten, einem Prothesenträger, Franz Schuberl, hatte ich vereinbart, dass er mit seinem Motorrad den Amerikanern entgegenfahren sollte, um ihre Hilfe herbeizuholen.

 

Durch den Abtransport der Häftlinge wurde diese Absicht illusorisch. Von der Parteileitung war mir die Abhaltung der Sammlung strikt verboten worden mit der Begründung

 

  1. für die eigenen Leute würde nicht gesammelt und
  2. es handle sich um Ausländer und um Verbrecher.

 

Ich verwies darauf, dass von den eigenen Leuten einschließlich der Evakuierten noch niemand an Hunger gestorben wäre. Wenn diese Frage einmal aktuell würde, würde für sie ebenso gesammelt und dann zum 2. Punkt, dass alle Menschen unsere Nächsten seien, dass wir nicht die Richter und die Henker dieser sog. Verbrecher wären. Maßgebend wäre für mich die Aussage des SS-Oberscharführers, die darlege, dass er für die Leute nichts mehr zu essen habe. Ich erklärte, ich verkünde morgen die Sammlung und dann möge man mich verhaften.

 

Von der gleichen Seite war auch wiederholt von der Erschießung der 3000 Unglücklichen die Rede. Ich trat selbstverständlich einem solchen Vorschlag mit der größten Energie entgegen, nicht bloß als unchristlich, sondern auch als unmenschlich und machte den SS-Oberscharführer auf die furchtbaren Folgen einer solchen schrecklichen, viertausendfachen Mordtat aufmerksam. Ohne mich rühmen zu wollen, darf ich bemerken, dass in jenen Tagen zu solchem Auftreten einem SS-Führer gegenüber immerhin einiger Mut gehörte. In gleicher Weise, wie er mich anhörte, hätte der SS-Oberscharführer mich nach damals geltenden Anordnungen auch erschießen können."

 

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Pfarrer Johann Bergmann