Robert Darsonville, ehemaliger französischer Häftling des KZ-Buchenwald, berichtet:

Robert Darsonville hat seine Aufzeichnungen während des Transportes auf einigen Fetzen Papier im April 1945 machen und sie retten können.

 

Es ist kein literarisches Schriftstück, wie er sagt, es sind nur Tatsachen der lebendigen Erinnerung, die bei den Kameraden wieder die Schmerzen, die Verzweiflung aber auch die Hoffnung dieser Hölle zu entkommen lebendig werden lassen.

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"Ich schreie wie ein wildes Tier"

Robert Darsonville, ehemaliger französischer Häftling des KZ-Buchenwald, berichtet:

 

Der Weg nach Weimar. Ich bin fast glücklich darüber, das Lager zu verlassen. Man evakuiert mit uns den Block 10 mit Franzosen, 2 Blocks mit Polen und Ungarn, 2 Blocks mit Russen und 1000 bis 1200 Mann des kleinen Lagers, insgesamt ca. 4500 Deportierte. Ich habe noch notiert: "Marsch nach Weimar nicht allzu schnell", aber die Transporte, die vor uns marschierten, haben furchtbar leiden müssen.... Tote entlang der ganzen Strecke, vom Lager bis zu den ersten Häusern der Stadt... Es ist 18.30 Uhr. Man wirft uns in die Eisenbahnwägen: 80 Mann je Waggon und zwei Brote für drei Mann, ein Päckchen Margarine für fünf Mann. In meiner Ecke mache ich mir Notizen.

 

Weimar, am 8. April 1945. Abfahrt um 21.00 Uhr. 80 Mann in einem Güterwagen. Vier Wachtposten je Waggon, zwischen den Wagen sitzend. Man hörte Geschützfeuer. Wir rollen uns zusammen. Es ist kalt. Ich habe große Kopfschmerzen. Es sind vier Waggons Franzosen (Block 26). Die Nacht ist da. Es muß gegen 22.00 Uhr oder ein wenig später sein. Fliegertätigkeit ohne Rast. Bombardierung einer nahe gelegenen Stadt. Vielleicht Jena? Und die Bomben fallen... Ich habe das Gefühl, sterbenskrank zu sein. Aufenthalt auf freiem Feld. Wir schlagen die Richtung gegen Eger ein. Im Morgengrauen neuerlich  Fahrtunterbrechung in einem Tal, das mit Nebel bedeckt ist.

 

9. April 1945. Wir erhalten eine Scheibe Wurst. Es ist unmöglich, sich auszuruhen. Wir passieren Leissling, Weissenfels, Zeitz, das 2 Tage nach unserer Durchfahrt besetzt wird. Es scheint, dass wir in Richtung Dachau fahren....Tägliche Fliegertätigkeit. Nein, wir wenden uns nach Osten. Häufiger Fliegeralarm überall. Kommen in Glauchau an.

 

10. April 1945. Abfahrt von Glauchau im Morgengrauen. Wir passieren Chemnitz, das zu 2 Dritteln weggebombt ist. Nach den Angaben eines Eisenbahners 80.000 Tote bei 400.000 Einwohnern! Wir verlassen die Eisenbahnhauptstrecke, passieren Reifland und Wurschberg. Freundliche, sympathische Bevölkerung. Eine deutsche Frau weint. Berge, Flüsschen, sehr schöne Gegend. Passieren Flöha, Pockau, Lengefeld, Zöblitz. Überqueren die böhmischen Berge...drei Lokomotiven...Wohin kommen wir? Diskussion mit den Kameraden. Was sollen wir tun?... Abfahrt von Zöblitz um 18.55 Uhr. Reizenhain 19.55 Uhr. Nachts wird eine Stadt schrecklich bombardiert, etwa 30 km von uns entfernt.

 

11. April 1945. Sehr zeitig früh kommen wir in Komotau an, an der Grenze in die Tschechoslowakei. Wir haben Hunger. Wir verbringen hier einen Teil des Tages. Bei Sonnenuntergang einen Napf Suppe und eine Schnitte Brot erhalten. Nach 10 Minuten Fahrt halten wir auf einem kleinen Bahnhof. Priesen. Wir verbleiben hier die ganze Nacht und einen Teil des nächsten Vormittags. Es ist sehr schönes Wetter. Ich bin noch in derselben Ecke wie bisher, und wir rühren uns nicht vom Platz.

 

12. April 1945. Wir sind noch in Priesen und werden durch den Volkssturm bewacht. Ein Viertel Liter Suppe, ein Stück Brot, eine Scheibe Wurst. Es gibt Szenen und Streit bei der Verteilung. Wir halten unsere Kameraden zurück. Ich schreie wie ein wildes Tier... Ergebnis: Die SS teilt Hiebe mit dem Gewehrkolben aus. Mehrere blieben am Erdboden liegen. In der Nacht Gewehrschüsse und Gebrüll... Ohne Zweifel sind einige junge Deportierte von den Waggons gesprungen. 

 

13. April 1945. Noch immer in Priesen. Drohende Haltung der Volkssturmmänner... Ein Viertel Liter Suppe. Abfahrt um 15.30 Uhr... Passieren Kaaden, Brunnersdorf. Aufenthalt in Klösterle-Prechenitz. Wir bringen Tote aus den Waggons, drei Fuhren, mehr als 150. Das ist nun die vierte Entladung. Die Ruhr wütet, auch unter den Franzosen. Wir passieren Schlackenwerth, Neudau, Dallwitz. Kommen in Kuttenplan an, wo wir die Nacht verbringen.

 

14. April 1945. Fahren in Richtung Plan bei Marienbad. Einige Waggons des Zuges kommen aber einige Stunden später wieder leer zurück. Wo sind unsere Kameraden geblieben? Wir haben seit 24 Stunden nichts zu essen bekommen. Die Wahnvorstellungen von Kochrezepten und Speisekarten nahmen in gleichem Maße zu wie die Steigerung der Hungergefühle und des Durstes. Abfahrt um 15 Uhr Richtung Tachau/Böhmen - Aufenthalt oder Ziel?..

 

15. April 1945. Wir sind den ganzen Tag in Tachau. Widersprüchliche Gerüchte... 1500 Häftlinge wurden vom Konvoi separiert und nach Flossenbürg /? / in Gang gesetzt. Wahr oder unrichtig? Lebensmittelausgabe: Ein Brot für vier Mann, ein Päckchen Margarine, ein Stück Käse. Unsere Waggons haben sich durch Disziplin ausgezeichnet. Die Müdigkeit ist grenzenlos. Wir erfahren den Tod von Roosevelt. Abfahrt um 20.45 Uhr. Wir fahren die ganze Nacht.

 

16. April 1945. Morgendämmerung. Es ist kalt. Wir sind in Rensperg, das wir gegen 7.15 Uhr verlassen. Wir erhalten eine zweite Lokomotive, passieren Neugramtin, Klentsche-Ober, Chodenschloß und Mawlowitz - Richtung Pilsen. Werden von amerikanischen Jagdflugzeugen angegriffen. Zurück nach Klentsche-Ober.

 

12.00 Uhr. Eisenbahnschienen unterbrochen. Tschechoslowakei. Erstaunlicher Empfang durch die Bevölkerung des Dorfes. Verpflegung durch sie. Auseinandersetzung mit der SS. Entgegenkommen unserer Wächter, die die Verpflegung zulassen. Am Abend bringen die Frauen warme Suppe... aber die Nacht wird hart. Es gibt Fluchtversuche...Gewehrsalven ...Gebrüll der jungen SS-Leute.

 

17. April 1945. Noch immer Klentsche-Ober. Die Bevölkerung wirft uns Brot in die Waggons. Wir sind nur noch insgesamt an die Tausend. Täglich viele Tote... Gewehrfeuer auf einen Waggon mit Russen und auf die tschechischen Zivilisten. Die SS ist mehr und mehr entnervt. Wir fahren in der Dämmerung ab. In der Nacht passieren wir einen sehr langen Tunnel. Zahlreiche Fluchtversuche. Erschießungen. Viele werden wieder ergriffen, denn wir haben die Tschechoslowakei verlassen und sind in Bayern, wo überall Volkssturm ist. Wir sehen, dass man Verwundete zurückbringt, die in die Waggons geworfen werden.

 

18. April 1945. Erwachen in Eisenstein, einem alten Grenzbahnhof zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland. Wir durchfahren Ludwigsthal, dann Regen, Deggendorf. Aufenthalt. Verpflegung: Brot und Margarine. Herrliche Gegend...Eindrucksvolle Stille...Wir steigen aus den Waggons. Das Brot ist längst verschlungen. Verbringen die Nacht in den Waggons.

 

19. April 1945. Sind noch in Deggendorf. Man fühlt sich leer, tot... Die Nacht ist kalt. Was für eine schreckliche Nacht. Die einen sind mit den anderen zusammengepfercht. Wir sind zerschunden, zerschlagen. Und der Hunger! Gegen 7.30 Uhr müssen wir aus den Waggons...werden gruppiert, sortiert, selektiert wie Vieh. 27 Franzosen, darunter Karmarrec, Rey-Golliet, Chailloux, Pierro Carton, Hug'ele usw. Wir sind vorgesehen für ein Bauzug- kommando. 

 

Der obige Bericht von Robert Darsonville endet beim 19. April frühmorgens. Er kommt nicht nach Nammering, er wird einem Bauzugkommando zugeteilt und muss zunächst in Plattling die zerbombten Gleise reparieren. Mit dem Bauzug geht es auf LKWs weiter zu mehreren Arbeitseinsätzen. Schließlich erreicht er Salzburg erst am 5. Mai. Nun war das gute Ende  gekommen, weil die SS-Wachen sich mit den deutschen Truppen zurückziehen mussten und flohen. Die Amerikaner waren jetzt auch für sie die Befreier.

 

Endlich am 20.  Mai konnte er auf einem Lastwagen mit viel Stroh und Decken und reichlicher Verpflegung die Heimreise antreten. Am 24. Mai erreichte er den Vorort von Paris. Er war zu Hause.

 

Seine Zeugenaussage kann man hier auf französisch nachlesen

 

weiter: Bericht Lazarro Levi