Der Überlebende Pole Dr. Jersey Fajer - jetzt deutscher Arzt - sprach eindrucksstark

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Dr. Fajer stammt aus Polen und kam ins KZ Buchenwald, weil er in der polnischen Untergrundarmee gegen die Soldaten Hitlers aber auch gegen die Soldaten Stalins gekämpft hatte. Seit vielen Jahren ist er deutscher Staatsbürger und war Arzt. In seiner Rede war er sichtlich bewegt und hat auch alle Zuhörer im Innersten berührt.

 

Dr. Jerzy Fajer

Rede bei der Gedenkstunde 60 Jahre in Nammering am Sonntag, 24. April 2005 

in Nammering

 

(abgeschrieben nach einer Tonbandaufnahme von Nikolaus Saller)

 

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

 

vorerst muss ich mich vorstellen. Das wird ganz kurz – 5 Minuten nur. Ich bin kein Jude, ich bin Pole, ich bin deutscher Staatsbürger seit Jahren und ich gehörte zu den KZ-Häftlingen, die wussten, warum sie im KZ sind. Das waren nur 10 Prozent. Ich war Mitglied von polnischer Untergrundarmee. Und diese Armee hat gekämpft gegen Hitlers Soldaten, aber hat auch gekämpft gegen Stalins Soldaten – gleichzeitig. Zur Sache: Man muss schon sagen, dass in diesem makabren Ereignis waren auch positive Momente – der Barmherzigkeit.

 

Ein Beispiel dazu ist der schon zitierte Pfarrer Bergmann von Aicha.  Hier möchte ich fragen, ob dieser mutige Mann – Ist dieser in irgendwelcher Weise ausreichend geehrt, außer der Steig und solcher Kleinigkeiten. Weil soweit ich  weiß, es gibt keine Tafel oder keine andere Erinnerung über diesen wirklich mutigen Mann. Und ich muss sagen, ich habe persönlich profitiert von dieser Aktion von Herrn Pfarrer von Aicha Johann Bergmann.          

    

So, das war nicht nur die Sache, dass der Pfarrer uns hat geholfen. Ich muss sagen, dass die Bauern, die örtlichen Bauern haben das alles gesammelt und gegeben. Das haben Sie auch erwähnt, aber irgendwo das muss irgendwo  betont werden. Und das waren Leute, die wirklich wollen helfen.

 

Ich muss auch sagen, um ehrlich zu sein, dass die Tschechen bei Pilsen haben auch uns geholfen und haben geworfen Brot und Lebensmittel aus dem gegenfahrenden Zügen zu uns ja. Und – und die SS-Männer haben geschossen gegen die Tschechen. Herr Pfarrer Bergman hatte auch Schwierigkeiten. Wir haben das gehört; ich werde mich nicht wiederholen.

 

Ja, ja selbstverständlich das war Ende des Krieges, Hunger war überall. Die deutschen Soldaten haben gehungert, nur ich möchte sagen, die Häftlinge – das war Absicht, dass wir hungern, ja das war Absicht, dass wir hungern.

 

Und vielleicht noch eine Sache – ein Unterschied, das man muss schon sagen, man muss schon sagen, dass Genickschuss, ein Genickschuss in diesen Zeiten hier in Nammering häufig war ein Segen – häufig war ein Segen, weil das Schlimmste war das langsame Sterben der Verwundeten in dunklen, geschlossenen Waggons, in stinkender Luft, das war wirklich noch schlimmer als ein Genickschuss.

 

Hochachtung für die Gemeinde Fürstenstein, auch Eging. Die beiden pflegen die Gräber der Ermordeten und halten die Erinnerungen wach. Hochachtung für die private Personen wie Hans Hübl und Herr Saller, die jahrelang dasselbe tun.

 

Schon Ende, ja.    Wir wissen alle, die Opfer des Nazi-Terrors werden nie vergessen und sollen nicht vergessen werden. Aber wir sollen auch nicht vergessen die Opfer des sowjetischen Terrors – in Substanz und Zahl gleich! Im KZ von Wologda, Workuta, Katyn, Kolyma.

 Ende der Rede

Dr. med. Jerzy Fajer - Erinnerungen eines KZ-Häftlings

Er stammt aus Warschau, Polen.  Seit vielen Jahren ist Oberaudorf seine Wahlheimat, lange Zeit war er Oberarzt an der Klinik Bad Trissl.

2005-04-24 323 Gedenkfeier 60JahreJedes Jahr fuhr er zu einem Besuch wieder nach Polen. Da hat er regelmäßig bei uns in Nammering, Eging und Fürstenstein Halt gemacht und am Mahnmal und in den beiden Friedhöfen an den Grabstätten der ermordeten Häftlinge gebetet. Er hat bei diesen Besuchen regelmäßig Plastik-Blumen  an die Steine gehängt, von denen wir lange Zeit nicht wussten, woher sie kamen. Denn Dr. Fajer war für uns nicht bekannt geworden, bis einmal bei einer zufälligen Begegnung dieses “Geheimnis” offenbar wurde. Zum 50 Jährigen Gedenken hat er gerne zugesagt und zu uns gesprochen.

 

Dr. Jerzey Fajer hat zwei Gefängnisaufenthalte in Warschau, sieben Konzentrationslager und den Todeszug von Buchenwald nach Dachau überlebt. Das war jetzt 60 Jahre her.  Am 7. Juni 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis in Warschau gebracht. Er hatte nämlich im polnischen Untergrund gegen Hitler und auch gegen Stalin gekämpft - gleichzeitig, wie er sagt. Und das hat er in seiner Rede auch angedeutet: In deutschen und in sowjetischen Lagern seien viele Millionen unschuldiger Menschen ermordet worden. Seine Worte: “in Substanz und Zahl gleich! Im KZ von Wologda, Workuta, Katyn, Kolyma.”Fajer07In Polen ist man an sich dessen sehr bewusst, in Deutschland wird der Blick zu sehr auf die eigene Geschichte verengt. 

 

Fajer hatte sich als junger Mann der Armia Krajowa angeschlossen (polnisch für Landesarmee, abgekürzt AK; im Deutschen meist als polnische Heimatarmee bezeichnet). Die AK war die größte militärische Widerstandsorganisation zur Zeit des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen. Sie war eine Armee aus Freiwilligen, die sich die Befreiung Polens von den deutschen Besatzungstruppen zum Ziel gesetzt hatten. Sie richteten ihre Angriffe besonders gegen das Eisenbahn- und Straßenverkehrsnetz, Militärposten und Depots, um den Nachschub für die Ostfront zu behindern, der zu 90 Prozent durch Polen lief. 

 

„Überleben war ein Zufall”, sagt Fajer, und der Zufall kam  ihm beim ersten Verhör nach der Festnahme in Warschau zu Hilfe. Der dafür zuständige Gestapo-Offizier kannte ihn beiläufig von Schulzeiten, war doch sein Bruder Fajers Germanistik- Professor am Gymnasium. „Wir konnten uns natürlich nicht in die Arme fallen und uns zuflüstern, dass wir uns kennen. Doch er beschützte mich”, erinnert sich Fajer. Und er diktierte ins Protokoll, das der junge Mann daraufhin „mit Freuden” unterschrieb: „Hat nicht gegen Deutschland mit der Waffe gekämpft”. Ein Vermerk gegenteiligen Inhalts hätte vermutlich sofort das Todesurteil bedeutet. Liste Warschau-Auschwitz

Dann kam Auschwitz. Sein Fluchtversuch aus dem Konzentrationslager brachte ihm drei so genannte Fluchtpunkte ein, schwere Folter bis zur Bewusstlosigkeit und die Zuteilung zu einer Strafkompanie. Die Kennzeichnung der Häftlinge in den Konzentrationslagern diente zur Gruppierung und Stigmatisierung der Gefangenen. Die Häftlingsnummer ersetzte im Lager den Namen der gefangenen Personen.

 

Auschwitz war das einzige Konzentrationslager, in dem man Häftlingen die Nummern tätowierte, was bei der hohen Sterblichkeit die Identifizierung der Leichen „erleichterte”. Fajers Nummer ist noch heute deutlich am linken Arm zu erkennen: 138902. In der ersten Zeit in Auschwitz sicherten ihm noch die Lebensmittelpakete seiner „Mutti”, wie sie Fajer heute noch liebevoll nennt, und seiner Schwester Danuta das Überleben. Darin war nicht nur Essbares, vor allem Zigaretten kam eine ungemein wichtige Bedeutung in den Lagern zu. Mit ihnen konnte fast alles „erhandelt” werden, erinnert sich Fajer.

Fajer20JahreDann folgte eine Irrfahrt durch sieben Konzentrationslager: Auschwitz, Mauthausen, Gusen I, Gusen II (Sankt Georgen), zurück nach Mauthausen, Langensalza, (nach einem dreitägigen Fußmarsch) Buchenwald. Durch „Glück” überstand dies Fajer „irgendwie”, denn er sei nicht besser gebaut, nicht stärker und nicht gesünder als die anderen gewesen, die zu Tausenden starben.

 

Die letzte Station war der Todeszug von Buchenwald nach Dachau. Vom 7. bis zum 28. April 1945 fand ein Eisenbahntransport mit KZ Häftlingen aus dem KZ Buchenwald zum KZ Dachau statt. Hauptziel der SS-Wachmannschaften war es in dieser Kriegsphase, dass Häftlinge der Konzentrationslager nicht in die Hände der vorrückenden Truppen der Alliierten geraten sollten. Rund 5.000 Gefangene wurden „verladen”, 800 kamen in Dachau lebend an: Der Zug hatte sich in einen Zug voller Toter und Sterbender verwandelt. Dieser Zug wurde vor allem deshalb bekannt, weil er nach der Ankunft am 28. April um 1 Uhr früh im KZ Dachau am nächsten Tag von auf München vorrückenden Truppen der US-Armee entdeckt und für die Öffentlichkeit auch fotografisch dokumentiert wurde. Die Soldaten fanden noch vor Betreten des Lagergeländes am 29. April 1945 in dem Zug viele Leichen verhungerter Häftlinge.

Mutter von FajerZu den Überlebenden zählte Jerzey Fajer. Nach seiner Genesung vom Fleckfieber reiste Fajer sofort nach Hause nach Polen – „zu Mutti”. Dieser war schon vor Monaten mitgeteilt worden, ihr Sohn sei gestorben. Entsprechend bewegend war das Wiedersehen.

 

 In Polen begann er ein Medizinstudium und arbeitet nach Abschluss der Prüfungen als Chefarzt fast neun Jahre im Krankenhaus in Lowicz, dann besucht Fajer einen Freund, der mit ihm in Auschwitz und inzwischen als Arzt in Amerika tätig war. Fajer entscheidet sich, ebenfalls in Amerika zu bleiben, im Anschluss wechselt er in ein Klinikum in Ghana als operierender Facharzt für Gynäkologie. Den Weg zurück nach Deutschland ermöglicht eine abenteuerliche Flucht über die damals noch vorhandene grüne Grenze. Im Auffanglager Zirndorf beschloss Fajer, in Deutschland zu bleiben. Nach Stationen in mehreren deutschen Kliniken verbrachte er die letzten Jahre seines Arbeitslebens aufgrund zunehmender körperlicher Beschwerden in der Klinik Bad Trissl.

 

Eine Stunde räumte Dr. Fajer, der heute 88-Jährige, für dieses Gespräch in dem kleinen Wohnzimmer in Oberaudorf ein. Es gibt viele Geschichten, die auf dem Papier enden. Diese aber endet mitten im Herzen. Zärtlich streichelt der alte Mann ein Foto, das die Erinnerungstafel mit Namen ermordeter Freunde und guter Bekannter zeigt, die in Warschau zu sehen ist. Solch' emotionale Momente lässt Dr. Fajer nur kurz zu. Nachts aber verfolgen ihn bis heute die unvorstellbaren Bilder, die sich nach zwei Gefängnisaufenthalten, sieben Konzentrationslagern und der Fahrt mit dem Todeszug nach Dachau in seine Seele eingebrannt haben. Es gibt Geschichten, für die braucht es Worte, um das Geschehene zu dokumentieren. Eigentlich aber bräuchte es Tränen. 

 

Entnommen auszugsweise aus dem Audorfer Anzeiger Herbst 2012 - Blitzlicht 34-35   Erinnerungen eines KZ-Häftlings von Eva-Maria Gruber